DIN-Normen & Standards

DIN EN 1789 und internationale Standards für Rettungsfahrzeuge

DIN EN 1789 - Die europäische Norm für Rettungsfahrzeuge

Die DIN EN 1789 "Rettungsdienstfahrzeuge und deren Ausrüstung - Krankenkraftwagen" ist die maßgebliche europäische Norm, die die Anforderungen an Rettungsfahrzeuge definiert. Diese Norm wurde entwickelt, um eine einheitliche Qualität und Sicherheit von Rettungsfahrzeugen in ganz Europa zu gewährleisten.

Die aktuelle Fassung der DIN EN 1789 aus dem Jahr 2020 ersetzt die vorherige Version von 2007 und bringt wichtige Neuerungen mit sich. Sie definiert nicht nur die technischen Anforderungen an die Fahrzeuge, sondern auch die Mindestausstattung und die Qualitätsstandards für die medizinische Ausrüstung.

DIN EN 1789 Standards Visualisierung

Wichtige Aspekte der DIN EN 1789

Fahrzeugklassifizierung: Eindeutige Typisierung von A1 bis C

Ausstattungsstandards: Detaillierte Listen der Mindestausrüstung

Sicherheitsanforderungen: Crash-Tests und Insassenschutz

Ergonomie: Arbeitsplatzgestaltung für das Personal

Qualitätssicherung: Prüfverfahren und Zertifizierung

Fahrzeugtypen nach DIN EN 1789

Die DIN EN 1789 unterscheidet vier verschiedene Fahrzeugtypen, die sich in ihrer Ausstattung, Größe und ihrem Einsatzspektrum unterscheiden. Diese Klassifizierung ermöglicht es, für jeden Anwendungsbereich das optimale Fahrzeug zu definieren.

Typ Bezeichnung Patientenraum Haupteinsatzgebiet Besatzung
A1 Patiententransportfahrzeug Grundausstattung Geplante Krankentransporte 1-2 Personen
A2 Patiententransportfahrzeug Erweiterte Ausstattung Krankentransporte mit Überwachung 2 Personen
B Notfallkrankenwagen Notfallausstattung Notfallrettung 2-3 Personen
C Mobile Intensive Care Unit Intensivausstattung Schwere Notfälle, Intensivtransport 2-3 Personen

Typ A1 - Patiententransportfahrzeug (KTW)

Fahrzeuge des Typs A1 entsprechen dem deutschen Krankentransportwagen (KTW) und sind für den Transport von Patienten konzipiert, die keine akute medizinische Betreuung benötigen. Diese Fahrzeuge verfügen über eine Grundausstattung für Erste Hilfe und einfache Überwachungsmaßnahmen.

Die Mindestausstattung umfasst eine Krankentrage, Sauerstoffversorgung, Absaugeinrichtung und grundlegende Erste-Hilfe-Materialien. Der Patientenraum muss eine Mindestgrundfläche von 5,5 m² aufweisen.

Typ A2 - Erweiterte Patiententransportfahrzeuge

Typ A2-Fahrzeuge stellen eine Erweiterung des A1-Typs dar und verfügen über zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten. Sie eignen sich für Transporte von Patienten, die eine kontinuierliche Überwachung benötigen, aber nicht akut lebensbedrohlich erkrankt sind.

Die erweiterte Ausstattung beinhaltet Monitoring-Geräte zur Überwachung von Vitalparametern, erweiterte Sauerstofftherapie-Möglichkeiten und zusätzliche medizinische Geräte für die Patientenbetreuung während des Transports.

Typ B - Notfallkrankenwagen

Fahrzeuge des Typs B sind für die Notfallrettung konzipiert und verfügen über eine umfangreiche Notfallausstattung. Sie entsprechen in etwa dem deutschen RTW, haben aber geringere Anforderungen an die Raumgröße und Ausstattung als Typ C-Fahrzeuge.

Die Ausstattung umfasst Defibrillator, Beatmungsgeräte, erweiterte Medikamentenausstattung und Geräte für invasive Maßnahmen. Der Patientenraum muss mindestens 8 m² Grundfläche aufweisen.

Typ C - Mobile Intensive Care Unit (RTW)

Typ C-Fahrzeuge stellen die höchste Ausstattungsstufe dar und entsprechen dem deutschen Rettungstransportwagen (RTW). Sie sind als "Mobile Intensive Care Units" konzipiert und ermöglichen die Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen.

Diese Fahrzeuge verfügen über die umfangreichste medizinische Ausstattung, einschließlich Beatmungsgeräte, Monitoring-Systeme, Defibrillator, Medikamentenschränke und Ausrüstung für invasive Eingriffe. Der Patientenraum muss mindestens 10 m² Grundfläche und eine Stehhöhe von 1,9 m aufweisen.

Technische Anforderungen

Die DIN EN 1789 definiert detaillierte technische Anforderungen, die weit über die reine Fahrzeugtechnik hinausgehen. Diese Anforderungen gewährleisten, dass Rettungsfahrzeuge den besonderen Belastungen des Einsatzbetriebs standhalten und optimale Arbeitsbedingungen für das Rettungsdienstpersonal bieten.

Strukturelle Anforderungen

Die strukturellen Anforderungen betreffen die Fahrzeugkonstruktion und die Sicherheit der Insassen. Rettungsfahrzeuge müssen spezielle Crash-Tests bestehen, die über die normalen Fahrzeugzulassungsverfahren hinausgehen. Dabei wird besonders die Sicherheit des Patientenraums und der dort arbeitenden Personen berücksichtigt.

Die Karosserie muss so konstruiert sein, dass sie auch bei einem Unfall die Integrität des Patientenraums gewährleistet. Alle Einbauten müssen so befestigt sein, dass sie bei einem Aufprall nicht zu Geschossen werden können.

Patientenraum-Anforderungen

Grundfläche Typ C: Mindestens 10 m²

Stehhöhe: Mindestens 1,9 m

Beleuchtung: Mindestens 300 Lux am Patientenkopf

Belüftung: 20-facher Luftwechsel pro Stunde

Temperatur: 18-26°C regelbar

Sicherheitsanforderungen

Crash-Test: Frontaler Aufprall mit 50 km/h

Seitlicher Aufprall: 32 km/h

Heckaufprall: 38 km/h

Überschlag-Test: 360° Rotation

Befestigung: Alle Geräte müssen 10g standhalten

Elektrische Systeme

Die elektrischen Systeme in Rettungsfahrzeugen müssen besonders zuverlässig und störungsfrei funktionieren. Die DIN EN 1789 definiert Anforderungen an die Stromversorgung, die elektromagnetische Verträglichkeit und die Erdung aller elektrischen Geräte.

Rettungsfahrzeuge müssen über eine unterbrechungsfreie Stromversorgung verfügen, die auch bei Ausfall der Fahrzeugbatterie oder des Generators den Betrieb lebenswichtiger Geräte für mindestens 30 Minuten gewährleistet.

Klimatisierung und Belüftung

Der Patientenraum muss über eine leistungsfähige Klimaanlage verfügen, die eine konstante Temperatur zwischen 18 und 26°C gewährleisten kann. Die Belüftungsanlage muss einen 20-fachen Luftwechsel pro Stunde ermöglichen und mit Filtern ausgestattet sein, die auch Bakterien und Viren zurückhalten.

Ausstattungsanforderungen

Die DIN EN 1789 definiert für jeden Fahrzeugtyp eine detaillierte Mindestausstattung. Diese Listen sind verbindlich und müssen bei der Zulassung des Fahrzeugs nachgewiesen werden. Die Ausstattung ist in verschiedene Kategorien unterteilt.

Medizinische Geräte für Typ C (RTW)

Gerätekategorie Spezifikation Anforderung
Defibrillator Biphasisch, manuell/automatisch Mindestens 200 J Energie
Beatmungsgerät Transportbeatmungsgerät Volumen- und druckkontrolliert
Monitoring EKG, SpO2, NIBP Kontinuierliche Überwachung
Absaugung Elektrisch und manuell Mindestens 40 l/min bei 400 mbar
Sauerstoff Zentrale Versorgung Mindestens 2000 l Vorrat

Immobilisation und Transport

Für die sichere Immobilisation und den Transport von Patienten schreibt die DIN EN 1789 verschiedene Hilfsmittel vor. Dazu gehören Krankentragen mit verschiedenen Befestigungsmöglichkeiten, Vakuummatratzen, Schaufeltragen und Spineboard für die Wirbelsäulenimmobilisation.

Alle Transportmittel müssen so konstruiert und befestigt sein, dass sie den bei einem Unfall auftretenden Kräften standhalten. Die Krankentrage muss über ein Gurtsystem verfügen, das den Patienten sicher fixiert, ohne die medizinische Versorgung zu behindern.

Medikamentenausstattung

Die Medikamentenausstattung für Typ C-Fahrzeuge umfasst Notfallmedikamente für die häufigsten lebensbedrohlichen Situationen. Dazu gehören Medikamente für die Reanimation, Analgetika, Sedativa und Medikamente für spezielle Notfallsituationen wie Anaphylaxie oder Status epilepticus.

Alle Medikamente müssen in einem verschließbaren, temperierten Schrank gelagert werden. Die Temperatur muss kontinuierlich überwacht und dokumentiert werden, um die Wirksamkeit der Medikamente zu gewährleisten.

Zulassungsverfahren

Das Zulassungsverfahren für Rettungsfahrzeuge nach DIN EN 1789 ist ein mehrstufiger Prozess, der sowohl die Fahrzeugtechnik als auch die medizinische Ausstattung umfasst. In Deutschland ist das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) für die Typgenehmigung zuständig.

Typgenehmigungsverfahren

Der erste Schritt ist die Typgenehmigung des Fahrzeugs. Dabei wird geprüft, ob das Fahrzeug den Anforderungen der DIN EN 1789 entspricht. Dies umfasst sowohl die technischen Aspekte wie Crash-Tests und elektromagnetische Verträglichkeit als auch die Ausstattungsanforderungen.

Für die Typgenehmigung müssen umfangreiche Unterlagen eingereicht werden, einschließlich technischer Zeichnungen, Materialnachweise, Prüfberichte und einer detaillierten Ausstattungsliste. Ein Prototyp des Fahrzeugs muss für Prüfungen zur Verfügung gestellt werden.

Einzelabnahme

Nach der Typgenehmigung muss jedes einzelne Fahrzeug vor der Inbetriebnahme abgenommen werden. Diese Einzelabnahme wird in der Regel von technischen Prüforganisationen wie TÜV oder DEKRA durchgeführt.

Bei der Einzelabnahme wird geprüft, ob das konkrete Fahrzeug der genehmigten Bauart entspricht und alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Besonderes Augenmerk liegt auf der ordnungsgemäßen Installation und Befestigung aller medizinischen Geräte.

Prüfumfang Typgenehmigung

• Crash-Tests nach UN-ECE R29

• Elektromagnetische Verträglichkeit

• Klimaprüfungen

• Vibrationstests

• Ausstattungsnachweis

• Ergonomieprüfung

Prüfumfang Einzelabnahme

• Sichtprüfung der Ausstattung

• Funktionsprüfung aller Geräte

• Befestigungsprüfung

• Elektrische Sicherheit

• Dokumentationsprüfung

• Probefahrt

Wiederkehrende Prüfungen

Rettungsfahrzeuge unterliegen besonderen Prüfpflichten, die über die normalen Hauptuntersuchungen hinausgehen. Neben der jährlichen Hauptuntersuchung müssen auch die medizinischen Geräte regelmäßig geprüft und kalibriert werden.

Die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) schreibt vor, dass alle medizinischen Geräte entsprechend den Herstellervorgaben gewartet und geprüft werden müssen. Dies umfasst sowohl sicherheitstechnische Kontrollen als auch Funktionsprüfungen.

Internationale Standards und Harmonisierung

Die DIN EN 1789 ist Teil eines europäischen Harmonisierungsprozesses, der darauf abzielt, einheitliche Standards für Rettungsfahrzeuge in ganz Europa zu schaffen. Dies erleichtert nicht nur den Handel mit Rettungsfahrzeugen, sondern verbessert auch die Interoperabilität bei grenzüberschreitenden Einsätzen.

Europäische Harmonisierung

Die Harmonisierung der Standards erfolgt über das Europäische Komitee für Normung (CEN). Vertreter aller EU-Mitgliedstaaten arbeiten gemeinsam an der Weiterentwicklung der Normen und berücksichtigen dabei nationale Besonderheiten und Erfahrungen.

Durch die europäische Harmonisierung können Rettungsfahrzeuge, die in einem EU-Land zugelassen sind, grundsätzlich auch in anderen EU-Ländern eingesetzt werden. Dies ist besonders wichtig für internationale Hilfsorganisationen und bei Katastropheneinsätzen.

Internationale Entwicklungen

Auch außerhalb Europas orientieren sich viele Länder an der DIN EN 1789 oder entwickeln ähnliche Standards. Dies führt zu einer weltweiten Angleichung der Qualitätsstandards für Rettungsfahrzeuge und erleichtert den Export deutscher Rettungsfahrzeuge.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Anwendung der DIN EN 1789 als Mindeststandard für Rettungsfahrzeuge. Viele Entwicklungsländer übernehmen diese Standards beim Aufbau ihrer Rettungsdienste.

Zukunftsentwicklungen

Die DIN EN 1789 wird kontinuierlich weiterentwickelt, um neuen technologischen Entwicklungen und veränderten Anforderungen Rechnung zu tragen. Aktuelle Diskussionen betreffen unter anderem die Integration von Elektrofahrzeugen, autonomen Fahrsystemen und neuen medizinischen Technologien.

Die nächste Revision der Norm wird voraussichtlich erweiterte Anforderungen an die Cybersicherheit enthalten, da moderne Rettungsfahrzeuge zunehmend vernetzt sind und über Fernwartungsmöglichkeiten verfügen.

Auch die Anforderungen an die Nachhaltigkeit werden in zukünftigen Versionen der Norm eine größere Rolle spielen. Dies betrifft sowohl die Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge als auch die Recyclingfähigkeit der verwendeten Materialien.